· 

Ordnung und Chaos

François Schwamborn: Ordnung und Chaos, 2024, Licht/ Video, Moderne Galerie Saarbrücken

 

Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.

(Nietzsche)

 

Zwei sich ständig verändernde bildgebende Systeme werden beeinflusst von Kontingenz; dem, was möglich ist,

aber nicht notwendig, und dem, was gleichzeitig nie wiederholt werden kann. In sich gegenüberliegenden

Räumen erzeugen eine analoge und eine digitale Installation Projektionen, die gerastert sind, Struktur bilden, die

sich jedoch von Moment zu Moment wandeln. Jedes Bild vergeht und ist einzigartig.

Das analoge System, ein abgedunkelter Raum – durch Lichtschlitze dringt Tageslicht b.z.w. das künstliche Licht

der Nacht ein. Als Lichtlinien spiegeln sie sich in einem schwarzen Wasserbecken. Ventilatoren setzen die

Wasseroberfläche in Bewegung, die Linien verschwimmen, verzerren und bewegen sich. Das klar geordnete

Raster aus Opazität und Transparenz an der Fensterfront erzeugt im nicht vorhersehbaren Zusammenspiel aus

Lichtverhältnissen, Zeit, Wetter, Sonnenstand, Umgebungslicht, Wasser- und Luftbewegung eine analoge,

lebendige, schimmernde Projektion auf der Wasseroberfläche. Das Bewegtbild generiert sich in Echtzeit durch

gleichzeitig stattfindende, sinnlich wahrnehmbare Ereignisse. Ursache (z.B. strahlender Sonnenschein) und

Wirkung (z.B. leuchtend klar umrissene Projektion) können nicht beherrscht oder geplant, aber logisch und

sinnlich direkt verstanden werden. Nach dem franz. Réflechir (dt. nachdenken) hallen Gedanken als Reflexionen

von Erlebtem in unseren Köpfen nach, durch unsere Wahrnehmung und Weltanschauung verzerrt. Gleichzeitig

aber besteht in diesem von außen beeinflussten und vor-eingenommenen Reflexionsprozess die Möglichkeit,

Neues zu denken. Genauso befinden wir uns in der abgedunkelten Innenwelt des Museums, schauen zu, wie die

verzerrten und bewegten Lichtreflexionen des Außens eindringen, transformiert werden und immer neue

abstrakte Bildwelten im Wasser schaffen.

Die Arbeit verändert sich ist je nach Tages/Jahres-zeit jenachdem wie die Sonne steht.

Im gegenüberliegenden Raum befindet sich das digitale System, eine Videoinstallation. Die Arbeit besteht aus

einem Konglomerat an Shadern, die durch ein rekursives System zu digitalem Leben erwachen. Organische

Strukturen und Bildwelten entstehen, wachsen, verschwinden, jedes ebenso verschieden wie das Vorherige.

Rekursion als digitale unendliche Spiegelung, immer leicht abgeändert und kombiniert, erzeugt eine sich dem

Zufall annähernde Simulation. Wenn im ersten Raum ersichtlich ist, wie die verzerrten Spiegelungen entstehen,

so bleibt die algorithmische Mechanik, die Ursache der Bilder, hier in der Rechenmaschine verborgen. Befinden

wir uns im ersten Raum in der sprichwörtlichen Blackbox, oder in einer phänomenologischen Verarbeitungswelt,

inside the head , so schauen wir nun einem Entstehungsprozess zu, sehen nur den Output der Blackbox. Wir

nehmen ihn als zufällig, organisch, natürlich, wahr, können ihn aber nicht (mehr) sinnlich verstehen. Maschine

und wuchernde Organik verschmelzen.

François Schwamborns Arbeit Ordnung und Chaos kreist um das Zusammenspiel beider, um deterministischem

Chaos. Ursache und Wirkung stehen in Zusammenhang, werden aber beeinflusst, gestört. Es ist die

Unvorhersehbarkeit dieser Störungen, kleinste Veränderungen vieler Faktoren, die die Strukturen der

Projektionen in beiden Fällen verändern, lebendig werden lassen. Die Kunstwerke als Systeme machen

deterministisches Chaos sichtbar. Gleichzeitig werden wir Zeug*innen von kreativen Prozessen, die von

menschengemachten analogen und digitalen Maschinen vor unseren Augen produziert werden. François

Schwamborn stellt Fragen nach Lebendigkeit, danach, wie wir uns selbst in Prozessen des immer wieder neu

Entstehenden befinden. Letztendlich veranschaulicht er menschliche Anteile dieser Prozesse, einerseits durch

technische Mittel, die äußere, kontingente Faktoren sichtbar machen und damit den Betrachtenden die

Möglichkeit geben, sich zeitlich und räumlich zu verorten, Wahrnehmung zu schärfen. Andererseits zeigt er, wie

technische Mittel sich von unvorhersehbaren Faktoren des Außens lösen und diese selbst inhärent in sich

maschinell erschaffen, initiiert durch den programmierenden Künstler.

Im Rahmen der Ausstellung ist auch das Mapping Kontrapunkt auf dem 4. Pavillon der Modernen Galerie entstanden.